Pädagogik für Dich | Ausgabe 03/2024 Wenn Kinder die Worte nicht finden Dialogische Sprachförderung im Alltag von Yasmina Plohl-Djemili Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo. Trotz dieses Wissens neigen wir manchmal dazu, die Kinder zu vergleichen oder den Fokus darauf zu richten, was das Kind noch nicht kann, anstatt die Fähigkeiten wahrzunehmen. Vielleicht denkst du jetzt: „Klar, das müssten doch die meisten Fachkräfte wissen!“ Deswegen geht es in diesem Beitrag um deine Möglichkeiten, Kinder mit Defiziten in der Sprachentwicklung bestmöglich zu begleiten. Neben dem Hören ist das Sprechen selbst ein wichtiger Aspekt, um Sprache zu verstehen und anzuwenden. Es ist unverkennbar, dass manche Kinder früher sprechen, andere eben später. Doch spätestens dann, wenn einem Kind mit zunehmendem Alter die Sprache fehlt, erschwert es die Kommunikation mit gleichaltrigen Kindern und anderen Personen. Inklusion statt Exklusion Ein großer Vorteil der alltagsintegrierten Sprachförderung ist, dass die Kinder mit Defiziten nicht „ausgegliedert“ werden und auch Kinder ohne Defizite (bspw. durch das soziale Miteinander) profitieren. Kinder sind in der Regel daran interessiert, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Wenn sie jedoch keine Reaktion auf ihr Mitteilungsbedürfnis erhalten, verlieren sie nach und nach das Interesse. Deswegen empfehle ich dir Pädis nachfolgende Tipps in deine tägliche Arbeit miteinfließen zu lassen, damit die Kinder deine Reaktion als sogenannten „Sprecherfolg“ wahrnehmen. Dieser Sprecherfolg ist eine wichtige Grundvoraussetzung zur Entwicklung von Sprechfreude. Pädis Tipp 1. Nimm dir die Zeit, die Kinder aussprechen zu lassen. 2. Sei ein guter Zuhörer oder eine gute Zuhörerin. 3. Dränge die Kinder nicht, Wörter nachzusprechen. 4. Schaffe einladende Kommunikationssituationen. 5. Reagiere immer, wenn ein Kind dich anspricht, und halte Blickkontakt. Sprach- und Sprechfähigkeit steigern Kinder, die positive Erfahrungen im Umgang mit Büchern, der Sprache und dem Sprechen machen, werden in den meisten Fällen auch nach der Kindergartenzeit Spaß und Freude am Lesen haben. Somit sind Bücher für den Einsatz in der Kita sowohl für die Wortschatzerweiterung als auch zur Förderung der Sprechentwicklung wunderbar geeignet. Dialogisches vs. klassisches Vorlesen Beim klassischen Vorlesen liest die Fachkraft etwas vor und die Kinder hören zu. Beim dialogischen Vorlesen übernimmt jedoch das Kind die Rolle des Erzählenden, sodass der Einsatz von Bilderbüchern Grundvoraussetzung ist. Am besten gelingt dir die Umsetzung, indem du dich aktiv zurücknimmst und abwartest, was die Kinder erzählen. Diese Aussagen kannst du dann aufgreifen, um Fragen zu stellen, Impulse zu geben oder um die Aussagen der Kinder zu ergänzen oder zu erweitern: „Was hat das Kind auf dem Bild in der Hand?“ Oder „Wo hat sich die Maus versteckt?“ Wenn du möchtest, dass sich die Kinder aktiv mit der Geschichte oder den Charakteren einer Geschichte auseinandersetzen, sind Fragen wie z. B. „Hast du so etwas auch schon einmal erlebt?“ oder „Warst du auch schon einmal im Zoo/ im Flugzeug/ auf einem Schiff etc.?“ gut geeignet. Dadurch findest du auch besser heraus, ob die Kinder den Zusammenhang einer Geschichte verstehen. Die meisten Kinder beteiligen sich besonders gerne an solchen Dialogen, wenn sie einen Alltagsbezug herstellen können. Deswegen empfehle ich dir, Geschichten auszuwählen, die die Lebenswelt der Kinder widerspiegeln. Sol- 8
Kinder Sprich mit Kindern über Freundschaft, Liebe, Zusammenhalt und du wirst dich wundern ... che findest du unter anderem in Wimmelbüchern. Gemeinsames Philosophieren ermöglichen Die Freiheit zur Äußerung der eigenen Gedanken ist eine wichtige Grundlage, um mit Kindern zu philosophieren. Dies ermöglichst du, indem du den Kindern keine Grenzen hinsichtlich ihres Denkens setzt und offen bist für neue Sichtweisen. Beim Philosophieren mit Kindern geht es nicht um eine Wissensvermittlung, sondern um eine Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt. Falls du jetzt an bekannte philosophische Fragen denkst, wie z. B. „Was ist der Sinn des Lebens?“, glaubst du vielleicht, dass das Philosophieren erst für ältere Kinder geeignet ist. Doch insbesondere mit Kindern im Kindergartenalter lässt sich hervorragend zu bestimmten Themen wie z. B. Freundschaft oder Mut philosophieren. Verschiedene Alltagssituationen (z. B. beim Malen, während des Frühstücks, im Rollenspiel, während einer Bilderbuchbetrachtung usw.) laden dazu ein, von dir aufgegriffen zu werden. Fragen, die in diesem Zusammenhang entstehen können, sind z. B.: → Wie würde ein Tag in der Kita aussehen, wenn du allein bestimmen könntest? → Was ist Gerechtigkeit? → Warum gibt es verschiedene Sprachen? → Wann ist jemand mutig? Auf die Herangehensweise kommt es an Wie du siehst, stehen dir verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um sowohl die Sprache als auch das Sprechen im Alltag zu fördern. Auch gemeinsames Singen, Fingerspiele sowie Tanzund Bewegungsspiele fördern die sprachliche Entwicklung „ganz nebenbei“. Abschließend möchte ich dir noch einige Tipps mit auf deinen Weg geben, die dich bei der Umsetzung unterstützen: ˟ Sei Sprachvorbild und achte auf eine klare Formulierung deiner Sätze (je jünger die Kinder sind, desto kürzer sollten die Sätze sein). ˟ Wenn ein Kind einen Satz von dir nicht versteht, dann versuche den Satz zu kürzen und vereinfacht zu wiederholen. ˟ Nimm dir die Zeit, um auf die Erzählungen und Fragen der Kinder einzugehen und somit in den Dialog zu treten. ˟ Nutze Spielsituationen, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. ˟ Lies den Kindern regelmäßig vor und betrachtet gemeinsam Bilderbücher. ˟ Begib dich auf Augenhöhe der Kinder, wenn sie mit dir sprechen oder du mit ihnen sprichst. ˟ Verzichte auf „Babysprache“. ˟ Gehe auch auf die nonverbalen Signale der Kinder ein und versuche, diese Signale gegenüber dem Kind sprachlich zu formulieren (besonders wichtig bei den Kindern, die sich etwas mehr Zeit in ihrer Sprachentwicklung lassen). ˟ Stelle den Kindern Spielmaterial zur Verfügung, das die Sprache der Kinder anregt (z. B. Bilderbücher, Spieltelefone etc.). Yasmina Plohl-Djemili ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende und pädagogische Leiterin für einen freien Kinder- und Jugendhilfeträger, Autorin und Coach. www.yasmina-plohl-djemili.de 9
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