Pädagogik für Dich | Ausgabe 05/2023 Peergroup-Eingewöhnung Neue Wege von Anfang an Interview mit der Autorin und Dozentin Anja Cantzler Anja Cantzler ist Weiterbildnerin, Coach (DGfC) und Supervisorin. Als Fachautorin, Bloggerin und Podcasterin steht sie für die verstehens- und bedürfnisorientierte Pädagogik und setzt sich für eine gewaltfreie Kindheit ein. Die Eingewöhnung neuer Kinder ist eine Herausforderung. Für Eltern, Kinder und immer auch für die pädagogischen Fachkräfte. Anja Cantzler setzt sich intensiv mit unterschiedlichen Eingewöhnungsmodellen auseinander, ehe sie in verschiedenen Einrichtungen die Peergroup-Eingewöhnung umsetzt. Mit Erfolg! Was hinter diesem Modell steckt, bei dem zwei Fachkräfte bis zu fünf Kinder gleichzeitig eingewöhnen und warum sie es gern empfiehlt, verrät sie im Interview mit unserer Redakteurin Marion Bischoff. Pädagogik für Dich: Liebe Anja, die Peergroup-Eingewöhnung ist dein Herzensanliegen. Anja Cantzler: Ich denke, ich erkläre kurz, wie ich zu diesem Projekt gekommen bin, denn ich habe den Eindruck, viele kennen es noch nicht. Während ich selbst noch in Kitas gearbeitet habe, mein Anfang liegt 30 Jahre zurück, da gab es keine Eingewöhnung. Eltern waren da auch herzlich wenig willkommen. Ich spürte, es geht den Kindern damit schlecht und auch ich als junge Fachkraft hatte Probleme. Im Laufe der Zeit habe ich verschiedene Einrichtungen mit aufgebaut und das Ankommen der Kinder war für mich immer wieder Thema. Mir wurde klar, dass es nichts bringt, 85 Kinder auf einmal aufzunehmen. So haben wir die Aufnahmen gestaffelt, Eltern mit ins Boot geholt. Wir hatten da auch schon U3 Kinder und ich habe klar erkannt, die bleiben nicht den ganzen Vormittag ohne Eltern. Das waren so erste Schritte in meiner eigenen Entwicklung zur Eingewöhnung von Kindern und das hat eben auch die Einrichtungen geprägt, in denen ich tätig war. Als ich mich vor 20 Jahren selbstständig machte, begegnete ich dem Berliner Eingewöhnungsmodell und erkannte, dass wir – unbewusst – in meinen Einrichtungen so ähnlich agiert hatten. So habe ich dann in meinem Wohnumfeld in den Einrichtungen mitgeholfen, dieses Modell mit einzuführen. Lange Zeit dachte ich, das ist ganz gut und war zufrieden, hatte trotzdem noch einen Punkt, an dem ich unzufrieden war, ohne es so genau benennen zu können. Bei der Begegnung mit einer Fachkraft hörte ich erstmals von dem Eingewöhnungsmodell der Peergroup-Eingewöhnung, die die Gleichaltrigengruppe in die Eingewöhnung einbezieht. Warum nicht von Beginn an Gleichaltrige zusammenbringen? Viele Kinder kommen besser an über andere Kinder und nicht über die Begleitung durch Erwachsene. PfD: Ja, das ist wohl auch ein wenig Erwachsenendenken, zu meinen, dass Kinder zwingend Erwachsene brauchen, um sich irgendwo zu integrieren. A.C.: Genau. Es hat natürlich auch etwas mit Vorerfahrungen zu tun. Zugleich bleiben Fachkräfte wichtig in diesem Prozess, das möchte ich auf keinen Fall falsch verstanden wissen. Ursprünglich heißt es ja nicht Peergroup-Eingewöhnung, sondern „Eingewöhnung in der Peer“. Das ist das sogenannte Tübinger Modell, das von Heike Fink in ihrer Doppelfunktion als Kitaleitung und Dozentin entwickelt und evaluiert worden ist. Zugleich basiert das Modell auf der Bindungstheorie, bezieht zusätzlich die Erkenntnisse der Transitions- und Peerforschung mit ein. Wichtig ist auch die kultursensible Pädagogik, die hier mit einfließt. Kinder haben unterschiedliche Vorerfahrungen. 14
Kinder All das kam für mich zusammen und hat ein Aha-Erlebnis bewirkt. Ich möchte einfach die Frage stellen: Wie kann denn gute Eingewöhnung gelingen? PfD: Was denkst du, warum sich die Eingewöhnung in der Peer zu wenig in der breiten Masse zeigt? A.C.: Ich denke, sie wird zu wenig publiziert, der Kreis der Weiterbildenden ist auch noch sehr klein und dadurch wissen viele in der Breite der Kitalandschaft noch nichts von diesem Modell. Hinzu kommt, dass alles Neue natürlich Zeit braucht. Bei allem stehen zu Beginn natürlich Zweifel im Raum. Mir begegnen öfter Fragen wie: „Geht das tatsächlich, mehrere Kinder einzugewöhnen?“, „Kann ich da denn zeitgleich allen gerecht werden?“, „Was ist, wenn sich ein Kind nicht gut lösen kann?“ Und für all das braucht es meiner Meinung nach noch mehr Raum. Und Angebote wie hier bei euch, es vorzustellen. Es gibt tatsächlich auch nur zwei Bücher auf dem Markt zum Thema: Mein eigenes und eines von Heike Fink. PfD: War das ein Anlass für dich, mit deinem Buch mehr Aufmerksamkeit zu generieren? A.C.: Eigentlich entstand die Idee zu dem Buch durch die Online- Seminare, in denen ich immer wieder gefragt wurde, ob es etwas zum Nachlesen dazu gibt. PfD: Was würdest du einem Kita- Team empfehlen in den Kita-Alltag zu integrieren, um das neue Eingewöhnungsmodell einzuführen? A.C.: Ich würde immer eine Steuerungsgruppe bilden, sich mit den Fachartikeln und den Büchern, Podcasts und allen verfügbaren Informationen zum Thema zu befassen, um die Eckpunkte ins Team hineinzubringen. Ich arbeite mit einem Mehr-Säulen-Modell. Das Team, die eingewöhnenden Fachkräfte, der Raum, die Bindungspersonen, das einzelne Kind und die Kindergruppe und die wahrnehmende Beobachtung. Die wird gebraucht, um die Kindorientierung über die Gruppe zu stellen, denn letztlich steht immer das Bedürfnis jedes einzelnen Kindes im Vordergrund. PfD: Betrachten wir die Situation der Eltern: Sie sind ja stark fokussiert auf das eigene Kind. Hast du schon erlebt, dass Eltern Angst haben, ihr Kind könnte zu kurz kommen? A.C.: Natürlich sind diese Fragen der Eltern da. Dafür muss man ihnen vermitteln, dass zwei Fachkräfte da sind, um ihr Kind zu unterstützen. Auch sie als Eltern sind mit dabei. Und das Gute in der Peergroup-Eingewöhnung ist, dass auch die Eltern eine Peergroup bilden. Da spüren sie dann Im gemeinsamen Spiel entsteht Bindung zu Gleichaltrigen. 15
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