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Pädagogik für Dich 5/2023 ECHT BESONDERS

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Kinder mit besonderen Herausforderungen, Eltern oder Fachkräfte im Burnout, neue Familien in der Kita, Kinder in Rollenspielen … Denkst du manchmal: Was ich tue ist „einfach besonders“? Dann ist die neue Ausgabe „Pädagogik für Dich“ genau das Richtige für dich. Hier findest du unter anderem den Beitrag einer Mama, die ein Kind mit Asperger-Syndrom ins Leben begleitet, ein Interview zur Peer-Group Eingewöhnung, den Unterschied zwischen Burn-out und Burn-on und einiges mehr ...

Pädagogik für Dich | Ausgabe 05/2023 Wenn das Universum etwas MEHR verteilt hat Das Statement einer Mama, die auch Pädagogin ist von Claudia Ungefehr Ich war bei den pädagogischen Fachtagen in Aschau. Bei verschiedenen Situationen aus der Praxis, die dort im Seminar „Gutes für die Kinderseele – Kinderschutz“ besprochen wurden, z. B. herausfordernde Kinder, die letztendlich von den Eltern aus Kita oder Schule abgeholt werden müssen, fühlte ich mich immer wieder getriggert. Doch warum? Ich bin ein Elternteil, der immer wieder angerufen wurde, damit ich meinen Sohn aus der Schule abhole, da er den Unterricht störte, sich verweigerte oder auch übergriffig geworden ist. Wie alles begann Mattheo kam als Geschenk zu uns. Ich steckte mitten in meiner Ausbildung zur Erzieherin und mein Mann war gerade beruflich auf der Suche nach einer anderen Stelle. Das erste Jahr war geprägt von vielen Veränderungen und unserem sicheren Ankommen in Dresden. Dort ging es beruflich für meinen Mann vorwärts und auch ich habe direkt eine Stelle als Erzieherin angetreten. Mattheo war ein Kleinkind mit großem Interesse an Technik und hat dem Opa mit zwei Jahren die Sendeplätze umprogrammiert oder auch mal die Sperre im Mobiltelefon geknackt. Kleine Wutausbrüche, gerade in der Autonomiephase habe ich zur Kenntnis genommen, mir da allerdings noch keine großen Gedanken gemacht. Im Kindergarten gab es immer mal wieder kleine Situationen, die für Mattheo schwierig wurden. Es konnte schon vorkommen, dass da Gefühle überschäumten. Die pädagogischen Fachkräfte haben diese Situationen für alle Beteiligten immer wieder gut auflösen können. Erste Anzeichen, doch das Wahrhaben fällt schwer Mein Mann und ich merkten schnell, dass Veränderungen, flexible Strukturen und Anpassungen für Mattheo schwer auszuhalten waren. Solche vielen kleinen „Baustellen“ waren auch einmal der Auslöser im Kindergarten, der am Ende ein Abholen erforderlich machte. Die Einrichtung war ausgelagert wegen Umbau. Es gab Personalausfall und die Aushilfen waren unserem Sohn noch unbekannt. Dazu kam die familiäre Veränderung mit meiner Schwangerschaft. Der Papa war zur Kur und bei Mattheo zeigten sich nun auch kleine Defizite bezüglich seiner Sehkraft. Das war ein ordentliches Paket an Veränderungen für einen Vierjährigen. Autismus war zu dem Zeitpunkt eine kleine Vermutung, die im Hinterkopf schlummerte. Dann kam der große Tag. Schuleinführung mit allem Zipp und Zapp. Ich lernte zum ersten Mal die Lehrerin kennen und schilderte grob Mattheos Feinheiten. Sie lächelte bloß und meinte, sie bekomme das hin, schließlich sei sie ja Lehrerin. Das erste Schuljahr verlief aus unserer Sicht relativ ruhig. Ich vermute, die Klassenlehrerin sah das anders. Doch wirklich ins Gespräch ging sie nicht mit uns. Klassische Reibereien unter Jungs waren immer mal wieder Thema. Verweigerungshaltungen dagegen schon eine ganz andere Hausnummer. Mein Mann und ich haben oft mit Mattheo gesprochen, ihm die Regeln des gesellschaftlichen Beisammenseins erläutert. Mit Beginn des zweiten Schuljahres ging die Tortur dann richtig los. Er verweigerte den Unterricht, wurde gegenüber anderen Kindern übergriffig, meist in Streitsituationen. Täglich rief die Schule an, dass ich ihn doch bitte abholen soll. Jeder Anruf löste Panik in mir aus. So konnte ich auf keinen Fall arbeiten gehen. Gerade frisch die Einrichtung gewechselt, war ich für die Kolleginnen und Kollegen in der Krippe keine Hilfe. Bilder, die ich niemandem wünsche Auch heute noch merke ich, wie mir das Erlebte in Mark und Bein geht und die Bilder sind immer noch präsent in meinem Kopf. Wenn ich in der Schule ankam, war selten eine Fachkraft da, 22

Eltern um mich zu empfangen. Häufig fand ich meinen Mattheo allein im Klassenzimmer. Niemand begleitete ihn. Ganz allein, ausgegrenzt und schutzlos saß er im Klassenzimmer. Mir brach es das Herz und auch jetzt beim Schreiben kommen Tränen. Ich war so hilflos. Am Ende wurde Mattheo von der Schule freigestellt. Legales Homeschooling, abgesegnet von der Landesschulbehörde in Sachsen. Wir haben Aufgaben für die ganze Woche bekommen und Montagabend waren sie erledigt. Wir haben uns viel angehört Uns Eltern wurde vorgeworfen, unser Junge wäre unerzogen, ein „Rotzlöffel“, respektlos und vieles mehr. Solche Aussagen und Ähnliches haben wir von Eltern gehört, aber auch von den Lehrkräften. Mein Mann hatte die Idee, zu einer Familienberatungsstelle der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dresden zu gehen. Die ersten Termine standen an. Ein Schulwechsel wurde durchgeführt. Wir und Mattheo spürten sofort die Ablehnung des dortigen Schulleiters. Neue Kinder, neue Konflikte, wieder Elterngespräche, wieder Anrufe, das volle Programm. Und nebenher war Mattheo in der Familienberatungsstelle zu Einzelsitzungen. Dann stand Autismus im Raum. Unsere Vermutung im Hinterkopf wurde real. Ein Diagnostikverfahren in der Autismus-Ambulanz erfolgte. Dieser Prozess bringt nicht gleich ein Ergebnis. Die Schule und andere Eltern machten Druck. Mattheo wurde nur auf seine Wutausbrüche, Ausraster und Verweigerungen reduziert. Mein Mann hatte durch seine Arbeit in einer Tagesgruppe für Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen das nötige Wissen, wie wir Mattheo gut begleiten können. Ohne eine Diagnose haben wir eine Schulbegleitung beim Jugendamt beantragt. Die Sachbearbeiterin war sehr freundlich, bemühte sich und sagte uns eine Begleitung zu. Ihr Chef hatte da andere Pläne. Wir gingen vor Gericht und bekamen zeitgleich mit dem Urteil auch die Diagnose. Es geht aufwärts, langsam und stetig Mit der Schulbegleitung und der Diagnose kam auch eine neue Schulleitung. Offen und transparent sind wir in die Hilfeplangespräche gegangen. Für Mattheo wurden Rückzugsmöglichkeiten gefunden. Ein Nachteilsausgleich wurde festgeschrieben. Die Anrufe, Konfliktsituationen und Verweigerungshaltungen nahmen ab. Ein Licht am Ende eines ganz langen Tunnels. Die Schulbegleitung wechselte, wir fanden als Familie einen guten Austausch mit der Begleitung. Wir mussten seltener abholen. Wöchentliche Termine in der Autismus-Ambulanz erforderten einen guten familiären Plan, schließlich waren da ja noch zwei andere Kinder. Julian, der Ältere zog sich zurück, Gesa, die Jüngste, musste immer wieder Gefühlsausbrüche von Mattheo erleben. Die Aufmerksamkeit lag immer auf Mattheo und unserem Wunsch, ihn in der Regelschule zu belassen. 23

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