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Pädagogik für Dich 5/2023 ECHT BESONDERS

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Kinder mit besonderen Herausforderungen, Eltern oder Fachkräfte im Burnout, neue Familien in der Kita, Kinder in Rollenspielen … Denkst du manchmal: Was ich tue ist „einfach besonders“? Dann ist die neue Ausgabe „Pädagogik für Dich“ genau das Richtige für dich. Hier findest du unter anderem den Beitrag einer Mama, die ein Kind mit Asperger-Syndrom ins Leben begleitet, ein Interview zur Peer-Group Eingewöhnung, den Unterschied zwischen Burn-out und Burn-on und einiges mehr ...

Pädagogik für Dich | Ausgabe 05/2023 Eine andere Art die Welt zu sehen ADHS wächst sich nicht immer aus von Anja Braekow Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit oder ohne Hyperaktivität, eine Definition, die so viel sagt und doch rein gar nichts. Die meisten pädagogischen Fachkräfte sehen sofort ein wildes, lautes Kind, mit übersteigertem Bewegungsdrang, unangepasst und anstrengend vor sich. Manche sehen auch ein träumendes, abwesendes und in sich zurückgezogenes Kind. Beides ist möglich, aber das wird heute nicht das Thema sein. Jeder von uns kennt sie, die Kollegin, die ständig Termine vergisst. Den Kollegen, der nicht richtig zuhören kann. Die Auszubildende, die oft zu spät kommt und viele Ausreden parat hat. Oder auch den Chef, der in seinem Papierchaos zu versinken scheint. Alle sind charismatische und interessante Menschen, aber die Zusammenarbeit kann ganz schön herausfordernd sein. Lange Zeit dachte die Gesellschaft, dass ADS oder ADHS nur bei Kindern vorkommt und sich mit der Pubertät verwächst. Der wissenschaftlichen Hirnforschung ist bis heute nicht komplett klar, woher dieses Phänomen kommt. Sicher ist, es handelt sich um eine Stoffwechselstörung im Gehirn. An dieser Stelle inhaltlich auf Hirnphysiologie einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Diagnosezeitpunkt Spannend ist, dass es zwei Lebensphasen gibt, in denen ADS am häufigsten diagnostiziert wird. Eine davon ist mit Anfang Zwanzig. Im Leben befinden sich hier viele oftmals in einer Wendephase. Die Jugend und Pubertät scheinen abgeschlossen, das Leben bekommt neue Strukturen. Genau darin liegt dann das Problem. Ein Mensch mit ADS tut sich mit diesen neuen Phasen schwer und so haben wir im pädagogischen Bereich dann mit Kolleginnen und Kollegen zu tun, die vermeintlich nicht der Norm entsprechen und oftmals durchs Raster zu fallen scheinen. Aber gerade in unserem Berufsfeld ist es möglich, die guten Seiten dieser Lebensweise zu erleben und auszuleben. Menschen mit ADS sind oft sehr liebevoll, haben viel Verständnis für Andersartigkeit und können sehr gut Gefühle verstehen und auch benennen. Sie sind meist gerecht und stehen für andere Menschen mit großem Einsatz ein. Natürlich setzt dies eine Akzeptanz und ein Wissen der eigenen Stoffwechselstörung voraus. Wenn die Diagnose vielleicht schon in der eigenen Kindheit gestellt wurde und sie akzeptiert wird, sind viele Potenziale bereits bekannt und können genutzt werden. Dem Unbekannten begegnen Was ist aber mit den pädagogischen Fachkräften, die sich darüber nicht im Klaren sind? Was kannst du als Kollegin oder Kollege tun? Natürlich nur, wenn du das möchtest und kannst. Bei Erwachsenen mit ADS ist eins der häufigsten und auffälligsten Symptome der unorganisierte und chaotische Lebensstil. Es fällt ihnen schwer, Aufgaben zur richtigen Zeit zu Ende zu bringen oder Abgabetermine einzuhalten. Dies ist besonders problematisch, wenn es um Zuarbeiten geht. Einige leiden auch darunter, dass sie sich Dinge nicht merken können oder sich viel zu viele Aufgaben aufladen, die dann nicht zu Ende gebracht werden. Sie hören von ihrem Umfeld, dass sie nicht richtig zuhören können oder unzuverlässig sind. Diese Unzuverlässigkeit kann dann zu einer Vielzahl an Problemen führen, wie zum Beispiel eine hohe Vergesslichkeit auch bei All- 8

Fachkräfte tagsaufgaben. Die Teetasse bleibt nach Feierabend immer auf dem Fensterbrett stehen oder es liegen überall angefangene Projekte herum. Die Materialien sind nie am dafür vorgesehenen Ort. Im Falle eines ADHS kommt eine hohe Impulsivität und Begeisterungsfähigkeit dazu. Es kommt manchmal zu richtigen Redeausbrüchen, niemand scheint mehr zu Wort zu kommen. Manche ADS-Menschen können sehr schnell denken und fallen dann anderen ständig ins Wort, sie haben den Satz schon zu Ende gehört, bevor das Gegenüber ihn beendet hat. Wenn Bewegungsdrang dabei ist, wippen vielleicht der Fuß oder das Knie. Begleiterscheinungen Oftmals haben diese Kolleginnen und Kollegen Begleiterscheinungen wie LRS (Leserechtschreibschwäche) oder psychische Erkrankungen, Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen. Nicht wenige ADS-Erwachsene haben ein Suchtproblem und rauchen beispielsweise sehr viel. Als Kollegin oder Kollege ist es schwierig, hier die nötige Toleranz zu wahren, und vielleicht ist das auch zu viel verlangt, wenn scheinbar alle Aufgaben überwacht werden müssen. Du brauchst Selbstbewusstsein, um ein Gespräch klar und deutlich zu Ende zu bringen und dich nicht nervös machen zu lassen. Die schönen Seiten Wenn die Teetasse mal wieder stehenbleibt, solltest du Ruhe bewahren. gibt es wertvolle Augenblicke. Erwachsene, die richtig diagnostiziert und vielleicht sogar medikamentös gut eingestellt sind, können tolle Kolleginnen und Kollegen sein. Lange Jahre habe ich in der Begleitung von jungen ADHSlern gesehen, wie sich viele Symptome in unserem Berufsfeld einsetzen lassen. Es ist schön zu sehen, wenn eine Auszubildende mit den Kindern stundenlang draußen spielt und nicht müde wird mit ihnen zu klettern und zu toben und dabei ihren Bewegungsdrang auslebt. Im Atelier arbeitet ein Kollege, der besonders kreativ und originell ist. Es sieht dort zeitweise zwar sehr unorganisiert und durcheinander aus, die Kinder müssen jeden Tag komplett geduscht und gereinigt werden. Doch lernen sie viel und dürfen mit allen Sinnen experimentieren. Auch hier arbeitet ein Kollege mit ADS. Kreativität und Originalität ist ein weiteres Zeichen der Störung. Ein weiterer Aspekt, den ich im Berufsfeld Kita ausgesprochen hilfreich erachte: Finden Fachkräfte mit ADS eine Sache besonders interessant, können sie sich sehr ausdauernd und lange konzentrieren und sich vollkommen in ein Thema vertiefen. Die Zeit scheint dann für sie stillzustehen. Auch von diesen Momenten profitieren die Kinder sehr. Sie stehen im Mittelpunkt und bekommen alle Zeit der Welt, sich selbst auszuprobieren. Abschließend möchte ich dazu aufrufen, die Vielfalt der Andersartigkeit zu akzeptieren und, wie in allen Lebenslagen, das Beste herauszuziehen. Aus Erfahrung kann ich sagen: Mit einer guten Portion Humor und Toleranz können wunderbare Arbeitsbeziehungen entstehen, die niemals langweilig und eintönig werden. Versprochen. Weitere Infos: https://www.adhs-ratgeber.com/ „Eine andere Art die Welt zu sehen“ ist der Titel dieses Beitrags und das nicht ohne Grund, denn gerade mit ADS oder ADHS Anja Braekow ist Kindergarten- Fachwirtin und Trägerin ihrer eigenen Kita. Außerdem ist sie Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbandes Baden-Württemberg. 9

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